#tysklitteraturfest: Deutsch-norwegische Begegnungen in Oslo

Frankfurter Buchmesse
5 min readMay 6, 2019

Deutschsprachige Leserinnen und Leser scheinen ein Faible zu haben für norwegischen Alltag, Insekten oder Noir fiction. Nur so ist es wohl zu erklären, dass Autorinnen und Autoren wie Maja Lunde, Jo Nesbø oder Karl Ove Knausgård regelmäßig die vordersten Plätze der Bestsellerlisten besetzen. 2019 präsentiert Norwegen sich als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse (16.-20. Oktober 2019), und allein in diesem Jahr werden rund 280 norwegische Titel in deutscher Sprache vorliegen. Umgekehrt ist das Interesse der Norweger an deutschsprachiger Literatur— gemessen an der Zahl der Titel, die ins Norwegische übertragen werden — nun ja, eher gering: Rund 20 Titel werden jährlich übersetzt.

©Karina Halvorsen Gravdahl

Was läge also näher, als just in dem Jahr, in dem ohnehin ganz Norwegen gespannt nach Frankfurt blickt, auch dem Gastgeberland eine Bühne zu bereiten? Das Festival “På vei til Frankfurt” (“Auf dem Weg nach Frankfurt”) sollte dem deutschen Literaturbetrieb eine gute Gelegenheit bieten, im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse den Gegenbesuch anzutreten und eine Werkschau in Norwegen zu präsentieren, so die Überlegungen der Autoren Erik Fosnes Hansen und Helge Rønning, die das 1. Tysk-Norsk-Litteraturfestival in Oslo mitinitiiert haben.

Eine Premiere, denn, so unglaublich es klingen mag, es war das erste Mal in der langjährigen Geschichte der Frankfurter Buchmesse, dass ein Gastland die Initiative ergriff, die Literatur des Gastgebers in dessen Sprache und im Gastland selbst zu präsentieren.

Hoher Besuch bei der Eröffnung des #tysklitteraturfest: Auftritt der Kronprinzessin Mette-Marit © Kathrin Grün

So trafen sich am letzten Aprilwochenende (26.-28. April 2019) 41 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und 64 norwegische Autoren, Übersetzerinnen und Journalisten im Osloer Literaturhuset, dem größten Literaturhaus in ganz Europa.

Wo immer er auftaucht, herrscht großer Andrang: Das Publikum auf dem Weg zu Ferdinand von Schirach © Kathrin Grün

Im Gespräch gingen Ferdinand von Schirach und Vigdis Hjorth der Frage nach, inwiefern die eigene Ausdrucksfähigkeit ausschlaggebend für den Ausgang in einem Rechtsfall sein kann; Nora Gomringer rezitierte eigene Texte sowie Zeilen aus der gesamten Weltliteratur — von Dorothy Parker zur experimentellen Literatur des 20. Jahrhunderts und großen Klassikern, musikalisch begleitet von Philipp Scholz. Theresia Enzensberger, Thomas Böhm, Henrik Keyser Pedersen und Knut Hoem diskutierten angesichts ausgedünnter Literaturredaktionen und immer weniger werdenden Rezensionen darüber, ob die Kulturkritik sich in der Krise befinde. Judith Hermann berichtete von ihren literarischen Anfängen Ende der 1990er Jahre und Melanie Raabe, Maja Lunde und Ruth Lillegraven widmeten sich dem Thema Domestic Crime.

„Wir wollten Begegnungen zwischen deutschsprachigen und norwegischen Autoren ermöglichen und neugierig machen auf junge und zum Teil in Norwegen noch unbekannte Stimmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz“, sagte Erik Fosnes Hansen.

Persönlicher Einsatz für die Literatur

Dass es auf beiden Seiten an Engagement, Hingabe und Risikobereitschaft nicht mangelt, die Literatur des jeweils anderen im eigenen Sprachraum verfügbar zu machen, zeigten zwei Beispiele:

“Ohne Übersetzer keine Weltliteratur” Christoph Ransmayr im Wergeland Raum © Kathrin Grün

Christoph Ransmayrs Bücher Die Schrecken des Eises und der Finsternis und Die letzte Welt sowie der Roman Morbus Kithara wurden ins Norwegische übersetzt, sein jüngst erschienener Roman aber nicht. Dass Cox: oder der Lauf der Zeit möglicherweise nun doch schon in diesem Herbst in Norwegen erhältlich sein wird, ist das Verdienst seines Übersetzers Sverre Dahl. Er übertrug den Roman über einen englischen Uhrmacher, der einen Chronometer für den Kaiser von China bauen soll, auf eigene Initiative, ohne Auftrag und Honorar, ins Norwegische. Auf der Bühne versprach Ransmayr, die Tantiemen mit seinem Übersetzer zu teilen. Herauskommen wird der Roman bei Pelikanen, dem Verlag, den Karl Ove Knausgård mit seinem Bruder gegründet hat. Hier erscheinen auch Simon Strauß, Christian Kracht und Peter Handke in Übersetzung.

Dass Gert Nygardshaug Bestseller Mengele Zoo in diesem Jahr auf deutsch vorliegt, ist der Übersetzerin Babette Hoßfeld zu verdanken. Sie setzte sich unermüdlich für das Buch ein, fertigte Probeübersetzungen an und sprach unzählige Verlage an — ohne Erfolg. In diesem Jahr ist der Öko-Thriller im Stuttgarter Vida Verde Verlag erschienen — einem Verlagshaus, das eigens für die Veröffentlichung dieses Buch gegründet wurde.

Der Germanist und Rundfunkjournalist Knut Hoem schließlich, Autor des Reisebuchs Bergen und Oslo, das in der Reihe “Lieblingsorte” bei Insel erschienen ist, aktivierte seine bei einem Studienaufenthalt in Berlin erworbenen Sprachkenntnisse und schrieb sein Buch gleich auf Deutsch.

Erik Fosnes Hansen

Auf der Terrasse des in Sichtweite des norwegischen Schlosses gelegenen Literaturhauses kam es zu zahlreichen Gesprächen und Begegnungen zwischen Gästen und Gastgebern.

Melanie Raabe und Simon Stranger

Einen weiteren Raum für Begegnungen und Interaktion bot schließlich die “German Stories” Lounge, die die Frankfurter Buchmesse im 3. Stock des Osloer Literaturhauses einrichtete: Besucherinnen und Besucher konnten hier in den Büchern der anwesenden Autorinnen und Autoren blättern und auf einer Schreibmaschine ihre eigenen Geschichten zu Papier bringen.

“German Stories” Lounge in Oslo © Kathrin Grün
Raum für Begegnungen: “German Stories” Lounge im Osloer Literaturhaus © Kathrin Grün

Darüber hinaus war in der Lounge der Themenraum VRWandlung aufgebaut: Hier verwandelt sich das Publikum dank VR-Technologie in ein riesenhaftes Insekt in einem originalgetreu rekonstruierten Zimmer.

Kafka und die virtuelle Realität | Foto: Goethe-Institut

Das deutsch-norwegische Literaturfestival wurde von fünf Institutionen in enger Zusammenarbeit mit den Schriftstellern Erik Fosnes Hansen und Helge Rønning veranstaltet: Der norwegisch-deutschen Willy-Brandt-Stiftung, der Frankfurter Buchmesse, dem Goethe-Institut, dem Norwegischen Verein der Autoren und Übersetzer von Fachliteratur, sowie dem Norwegischen Verband der Übersetzer. Das Festival wurde unterstützt von: Bergesenstiftelsen (Hauptsponsor) und Anders Jahres Humanitære stiftelse, Cappelen Damm forlag, der Deutschen Zentrale für Tourismus, Den Norske Forleggerforening, der Stiftung Fritt Ord, Gyldendal Norsk Forlag, H. Aschehoug & Co. (W. Nygaard), Kulturrådet, Nasjonalbiblioteket — Bokåret 2019, NORLA, Pro Helvetia, Utenriksdepartementet, Österreichische Botschaft Oslo, Schweizerische Botschaft in Norwegen, Oslo Kommune u.v.a.

Programm des deutsch-norwegischen Literaturfestivals:
https://tysklitteraturfest.no/

Impressionen vom Literaturfestival:
https://www.facebook.com/tysklitteraturfest/

Website zum Ehrengastauftritt Norwegens auf der Frankfurter Buchmesse:
https://www.norway2019.com/de/

Text und Bilder: Kathrin Grün

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